Im Schatten der Leinwand: Justin Benson & Aaron Moorhead im Indie-Genrekino

Einleitung

Justin Benson und Aaron Moorhead haben sich in den vergangenen Jahren einen festen Platz im internationalen Genre-Kino erarbeitet. Ihre Filme verbinden persönliche Geschichten mit Elementen aus Horror, Science-Fiction und Drama. Statt auf grosse Budgets zu setzen, nutzen sie Fantasie, handwerkliches Geschick und eine klare Vision. Dabei entstehen Werke, die sich durch eine besondere Mischung aus Intimität, philosophischer Tiefe und kosmischem Grauen auszeichnen.


Justin Benson

Justin Benson in „Something in the Dirt“
Justin Benson in „Something in the Dirt“ (2022)

Geburtsjahr
9. Juni 1989, San Diego, Kalifornien

Ausbildung
Es liegen keine Informationen zu einem abgeschlossenen Studium vor; sein Übergang in die Filmbranche erfolgte über praktische Erfahrung und frühe Kurzfilmprojekte

Justin Benson ist der kreative Kopf des Duos, der vor allem als Autor hervorsticht. Seine Drehbücher verbinden philosophische Tiefe mit kosmischem Schrecken und sind häufig die Grundlage für die ungewöhnlichen Stoffe, die er gemeinsam mit Moorhead realisiert. Neben dem Schreiben übernimmt er auch Regieaufgaben und tritt gelegentlich als Schauspieler auf, etwa in The Endless.


Aaron Moorhead

Aaron Moorhead in „Something in the Dirt“
Aaron Moorhead in „Something in the Dirt“ (2022)

Geburtsjahr
17. Dezember 1987, Florida

Ausbildung
Keine Daten über ein abgeschlossenes Studium; ähnlich wie Benson startete er in der Praxis, etwa über Kurzproduktionen ab Jugendjahren. Er drehte schon mit 19 seinen ersten Film.

Aaron Moorhead, geboren 1987 in Florida, bringt vor allem seine Stärken als Kameramann, Editor und visuell denkender Regisseur ein. Er ist für den unverwechselbaren Look der gemeinsamen Filme verantwortlich. Seine Bildsprache verbindet intime Charakterporträts mit weiten, fast überirdischen Landschaftsaufnahmen. Zusammen mit Benson ist er gleichermassen vor und hinter der Kamera aktiv.


Frühe Jahre & Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit der beiden begann mit Kurzfilmen wie A Glaring Emission (2010) und Wrecked (2011). Sie lernten sich in der Filmbranche kennen und entdeckten schnell ihre gemeinsame Leidenschaft für Geschichten, die das Alltägliche mit dem Übernatürlichen verbinden. Von Anfang an verfolgten sie einen DIY-Ansatz, oft mit Eigenfinanzierung und grosser persönlicher Hingabe. Ihr erster Spielfilm Resolution (2012) wurde praktisch ohne klassische Finanzierung realisiert, mit Ausrüstung aus dem Freundeskreis. Viele Dialoge entstanden dabei teils improvisiert, was den Filmen einen sehr natürlichen Ton verleiht.

Ihre Zusammenarbeit basiert auf Freundschaft und Gleichberechtigung, nicht auf festen Hierarchien. Beide übernehmen in ihren Filmen oft mehrere Rollen, sowohl hinter als auch vor der Kamera, etwa in The Endless oder Something in the Dirt.


Spielfilme

Bildquelle: TMDb

Resolution (2012)
Rotten Tomatoes

Ihr erster Spielfilm, ein Minimalbudget-Projekt, das den Grundstein für das sogenannte Loop-Universum legte. Resolution ist ein Kammerspiel, das subtil kosmischen Horror einführt.

Synopsis
Ein Mann versucht, seinen suchtkranken Freund in einer einsamen Hütte zu rehabilitieren. Doch seltsame Ereignisse und eine unsichtbare Macht lassen die beiden in einem albtraumhaften Kreislauf gefangen erscheinen.

Genre
Horror, Mystery, Drama

Hauptbesetzung
Peter Cilella, Vinny Curran


Bildquelle: TMDb

Spring (2014)
Rotten Tomatoes

Ein ungewöhnlicher Genremix: Liebesgeschichte trifft Creature Feature. Spring brachte den beiden internationales Kritikerlob ein und festigte ihren Ruf als Ausnahmeerscheinungen. Gedreht wurde der Film mit einem winzigen Team in Italien, wobei oft Privatwohnungen als Drehorte dienten.

Synopsis
Ein junger Amerikaner reist nach Italien und verliebt sich in eine geheimnisvolle Frau. Bald entdeckt er, dass sie ein uraltes, monströses Geheimnis verbirgt.

Genre
Romance, Horror, Fantasy

Hauptbesetzung
Lou Taylor Pucci, Nadia Hilker


Bildquelle: TMDb

The Endless (2017)
Rotten Tomatoes

Eine Rückkehr ins Loop-Universum, dieses Mal mit den beiden selbst in den Hauptrollen. Der Film vertieft die Mythenwelt, die bereits in Resolution angedeutet wurde.

Synopsis
Zwei Brüder kehren in eine UFO-Sekte zurück, die sie vor Jahren verlassen hatten. Bald erkennen sie, dass die Gruppe in einem unerklärlichen Zeitschleifen-Phänomen gefangen ist.

Genre
Sci-Fi, Horror, Mystery

Hauptbesetzung
Justin Benson, Aaron Moorhead, Callie Hernandez, Tate Ellington


Bildquelle: TMDb

Synchronic (2019)
Rotten Tomatoes

Obwohl der Film an den Kinokassen kein Erfolg war, bedeutete er für Benson & Moorhead einen wichtigen Karriereschritt. Mit grösserem Budget und bekannten Schauspielern konnten sie erstmals im internationalen Rahmen arbeiten, was ihnen letztlich den Einstieg ins Marvel-Universum ermöglichte.

Synopsis
Zwei Sanitäter, Steve und Dennis, in New Orleans entdecken eine neuartige Designerdroge, die ihre Konsumenten durch Zeitreisen schickt. Eine persönliche Tragödie zwingt Steve, die Droge selbst zu testen.

Genre
Sci-Fi, Thriller, Drama

Hauptbesetzung
Anthony Mackie, Jamie Dornan


Bildquelle: TMDb

Something in the Dirt (2022)
Rotten Tomatoes

Gedreht während der Pandemie, wieder mit starkem DIY-Charakter. Der Film verbindet Meta-Kommentar über das Filmemachen mit kosmischem Horror und Verschwörungstheorien.

Synopsis
Zwei Nachbarn dokumentieren paranormale Phänomene in ihrer Wohnung. Doch je tiefer sie in die Ereignisse eintauchen, desto mehr verschwimmen Realität, Wahnsinn und kosmischer Horror.

Genre
Mystery, Horror, Sci-Fi

Hauptbesetzung
Justin Benson, Aaron Moorhead


Serienarbeit

Nach ihren Erfolgen im Independent-Kino wurden Benson und Moorhead auch für das Fernsehen interessant. Für die Netflix-Serie Archive 81 inszenierten sie 2022 zwei Episoden und brachten dort ihren Hang zu mysteriösen Strukturen und kosmischem Grauen ein. Im selben Jahr erhielten sie von Marvel die Chance, zwei Episoden der Serie Moon Knight zu drehen. Ihre Handschrift war besonders in den surrealen Sequenzen und den verschachtelten Realitäten zu erkennen. Ein Jahr später folgte der nächste Schritt: In der zweiten Staffel von Loki führten sie bei vier Episoden Regie, die von vielen Kritikern und Fans als die stärksten der Staffel bezeichnet wurden. Dort kombinierten sie ihre Erfahrung im Umgang mit Zeit- und Realitätsmanipulation mit den Anforderungen eines grossen Franchise. Mittlerweile gelten sie als verlässliche Kräfte, die sowohl intime Independent-Filme als auch grosse Serienproduktionen meistern können.


Cosmic Horror und Rezeption

Cosmic Horror ist ein Subgenre des Horrors, das von H. P. Lovecraft geprägt wurde. Im Mittelpunkt steht nicht das Grauen vor sichtbaren Monstern, sondern die existenzielle Angst vor dem Unbekannten, dem Unendlichen und dem Unverständlichen. Menschen werden darin als unbedeutend dargestellt, ausgeliefert den Mächten, die weder kontrollierbar noch verständlich sind. Typisch ist, dass das Grauen nur angedeutet, nie vollständig gezeigt wird, was die Fantasie und das Unbehagen der Zuschauerinnen und Zuschauer verstärkt.
Bekannte Filmbeispiele für Cosmic Horror sind Glorious (2022) von Rebekah McKendry, The Thing (1982) von John Carpenter, The Color Out of Space (2019) von Richard Stanley sowie In the Mouth of Madness (1994) von John Carpenter.

Justin Benson und Aaron Moorhead greifen diese Motive auf, ohne Lovecraft direkt zu adaptieren. Sie betonen, dass sie sich der Verbindung zum kosmischen Horror erst im Laufe ihrer Arbeit bewusst wurden. Justin Benson erklärte, dass sie erst nach ihrem dritten Film realisierten, in diesem Bereich zu arbeiten. Aaron Moorhead fasste es so zusammen: „We were unconsciously influenced by Lovecraft“ (Quelle: BFI, 2018).
Ihre Filme setzen auf das, was Lovecraft meisterhaft machte, das Sichtbarmachen des Unsichtbaren und das Andeuten des Unbeschreiblichen, allerdings mit eigenständigen Figuren und Geschichten. Besonders prägend ist etwa die Zeltszene in The Endless, in der einer der Brüder in ein Zelt blickt und darin einen Mann entdeckt, der unaufhörlich dieselben Abläufe wiederholt. Diese Szene macht den Schrecken des Eingeschlossenseins in einer Zeitschleife unmittelbar erfahrbar und steht exemplarisch für den kosmischen Horror, der ihr Werk durchzieht.

Filmszene aus „The Endless“ (2017) von Justin Benson und Aaron Moorhead
Filmszene aus „The Endless“ (2017) von Justin Benson und Aaron Moorhead

Rezeption & Einfluss

Benson & Moorhead haben sich durch ihre originellen Erzählweisen und ihre Vielseitigkeit einen festen Platz im modernen Genre-Kino gesichert. Kritiker loben ihre Fähigkeit, emotionale Tiefe mit übernatürlichem Schrecken zu verbinden. Ihre Filme und Serien haben grossen Einfluss auf die Wahrnehmung von kosmischem Horror im Mainstream. Oft wird betont, dass sie Motive und Stimmungen umsetzen, die stark an H. P. Lovecraft erinnern, ohne sich direkt auf ihn zu beziehen oder seine Geschichten zu adaptieren.

“We didn’t know we were making cosmic horror. […] We didn’t realize we were making cosmic horror until movie number three.”
Justin Benson @ Cosmic Horror Monthly


Fazit und Bedeutung

Justin Benson und Aaron Moorhead sind mehr als nur Regisseure, sie sind Autoren, Produzenten, Schauspieler und Visionäre. Sie stehen für eine neue Generation von Filmemachern, die beweisen, dass man auch mit kleinen Mitteln grosse Geschichten erzählen kann. Im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Genre-Regisseuren wie Mike Flanagan, Robert Eggers oder Panos Cosmatos nehmen sie eine Sonderstellung ein. Ihre Mischung aus intimen Dramen und kosmischem Horror ist einzigartig und verbindet persönliche Geschichten mit philosophischen Fragen. Kritiker heben hervor, dass ihre Filme trotz kleiner Budgets visuell mit Grossproduktionen mithalten können. Ihre Werke liefen auf Festivals wie dem Toronto International Film Festival, dem Sundance Film Festival, Sitges und dem Neuchâtel International Fantastic Film Festival und erhielten dort wiederholt Anerkennung.

Ein zentrales Merkmal ist ihre Bildsprache: weite Landschaften betonen Isolation und die Unbedeutsamkeit des Individuums, während wiederholte Bewegungen und Szenen Zeit- und Realitätsmanipulation sichtbar machen. Ihre Produktionsweise bleibt minimalistisch, mit kleiner Crew und zahlreichen Eigenleistungen. Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt und Schauspiel liegen oft in denselben Händen. Nach Loki und Moon Knight sind sie fest in der Marvel-Welt etabliert. Sie waren bereits an drei Folgen der ersten Staffel von Daredevil: Born Again beteiligt und arbeiten nun auch an der zweiten Staffel mit. Gleichzeitig betonen sie, dass sie weiterhin unabhängige Projekte verfolgen wollen, die persönliche Geschichten in den Mittelpunkt stellen. Inhaltlich bleibt ihre Philosophie unverkennbar: Kosmischer Horror ist für sie weniger Monsterdarstellung, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass der Mensch im grossen Gefüge kaum Bedeutung hat.

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