Die ersten ihrer Art: Psychologischer Horror und seine Erben

Einleitung

Nicht alle Horrorfilme erschrecken mit Monstern. Während Figuren wie Dracula, Frankenstein oder die Mumie das Genre jahrzehntelang prägten, wühlen andere Werke tiefer. In der Psyche, im Zweifel, in der Auflösung des Selbst. Der psychologische Horror lebt von innerer Zerrüttung, Wahrnehmungsverlust und dem stillen Grauen zwischen Realität und Wahn. Er erschreckt nicht durch das, was man sieht, sondern durch das, was man vielleicht nur glaubt zu sehen. Häufig verschwimmt die Grenze zwischen innerer Wahrnehmung und äusserer Wirklichkeit. Traumata, Schuld, Isolation und unterdrückte Begierden werden zu Trägern des Unheimlichen. Oft erleben wir die Welt aus der Perspektive einer Figur, deren Realität bröckelt. Der psychologische Horror fragt nicht, ob etwas da draussen lauert, sondern ob man sich selbst noch trauen kann. Dieser Text folgt jenen Filmen, die das Genre prägten, von Les Diaboliques bis Saint Maud.

Hinweis: Zur Analyse einiger Schlüsselfilme werden zentrale Handlungspunkte besprochen. Es kann also zu Spoilern kommen.


Härtegrad-Skala

1 = harmlos (kaum Gewalt, wenig belastend)
2 = leicht (einige Schockmomente, minimale Gewalt)
3 = mittel (deutliche Gewalt, einzelne grafische Szenen)
4 = hart (explizite Gewalt, verstörende Inhalte)
5 = extrem (sehr grafische Gewalt, psychisch stark belastend)


I. Die Urväter und -mütter

Diese Filme markieren den Ursprung des psychologischen Horrors. Sie stammen aus einer Zeit, in der Horror noch stark von klassischen Monstern, Geistern und Schauplätzen dominiert wurde. Doch genau hier beginnt der Wandel: In diesen Werken wird das Unheimliche zunehmend zur Frage der Wahrnehmung und des psychischen Zustands. Die Bedrohung kommt nicht mehr nur von aussen, sondern wächst aus inneren Konflikten und Unsicherheiten.

Les Diaboliques (1955)

Filmszene: Les Diaboliques
Regie: Henri-Georges Clouzots, 1955

Inhalt
Henri-Georges Clouzots Klassiker ist kein Horrorfilm im engeren Sinn und doch ein Eckpfeiler des psychologischen Horrors. Zwei Frauen planen den Mord an einem tyrannischen Schuldirektor, doch was folgt, ist ein raffiniertes Spiel mit Angst, Schuld und Realitätsverlust.

Finanzen
Budget: ca. 220’000 $
Box Office: genaue Zahlen fehlen, aber der Film wurde ein grosser Erfolg in Frankreich und den USA.

Auszeichnungen
Les Diaboliques gewann fünf Auszeichnungen, unter anderem für den besten fremdsprachigen Film.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Die Badewannenszene gilt als eine der berühmtesten Suspense-Sequenzen der Filmgeschichte. Clouzot inspirierte mit diesem Werk u. a. Alfred Hitchcock, der angeblich vergeblich versuchte, die Rechte am Stoff zu erwerben.

Innovationslage
Les Diaboliques verschiebt Horror in die Psyche. Was als klassisches Verbrechen beginnt, wird zum paranoiden Albtraum.

Härtegrad
Psychologische Spannung, kaum grafische Gewalt


Psycho (1960)

Filmszene: Psycho
Regie: Alfred Hitchcock, 1960

Inhalt
Alfred Hitchcocks Psycho ist formal ein Krimi, psychologisch jedoch eine Entfaltung des Abgründigen im Ich. Norman Bates bringt das gespaltene Selbst auf die Leinwand. Die Duschszene schockierte nicht nur durch ihre Inszenierung, sondern durch den erzwungenen Perspektivwechsel des Publikums.

Finanzen
Trotz eines Budgets von rund 800’000 $ spielte Psycho in den USA über 32 Millionen Dollar ein und wurde zu einem enormen Kassenerfolg.

Auszeichungen
Der Film erhielt vier Academy Award-Nominierungen, unter anderem für Hitchcock als besten Regisseur und Janet Leigh als beste Nebendarstellerin. Leigh gewann zudem einen Golden Globe für ihre Darstellung. 1992 wurde Psycho in das National Film Registry der Library of Congress aufgenommen.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Die ikonische Musik von Bernard Herrmann, das unheilvolle Haus am Hang und die Duschszene wurden zu popkulturellen Chiffren, die bis heute zitiert und parodiert werden. Psycho veränderte nachhaltig, wie Gewalt, Sexualität und psychische Zerrüttung im Kino dargestellt werden, und verschob die Grenzen dessen, was im Mainstream-Horror erzählbar war. Hitchcock legte damit einen Grundstein für den modernen psychologischen Horror. Ein Einfluss, der in Werken wie Repulsion, Audition und The Shining nachhallt.

Innovationslage
Hitchcock verlagerte Horror in den Alltag und machte psychische Zerrüttung erzählbar. Ein Grundstein des modernen psychologischen Horrors.

Härtegrad
Einige Schockmomente, ikonische, aber nicht explizite Gewaltszenen


Peeping Tom (1960)

Filmszene: Peeping Tom
Regie: Michael Powell, 1960

Inhalt
Michael Powells Film über einen Serienmörder, der seine Opfer beim Sterben filmt, ist kein klassischer Whodunit, sondern ein radikaler Blick in die Täterpsyche. Der Zuschauer sieht durch die Kamera des Mörders und wird zum Komplizen.

Finanzen
Kommerziell ein Flop beim Erscheinen; Zahlen nicht dokumentiert.

Auszeichnungen
Spätere Ehrungen u. a. durch Retrospektiven beim BFI.

Popkulturelle Wirkung
Bei seiner Veröffentlichung wurde der Film von der britischen Presse regelrecht zerstört. Kritiken bezeichneten ihn als «krankhaft» und «moralisch abstossend», was Michael Powells Karriere massiv schadete [The Guardian, BFI]. Erst in den späten 1970er‑Jahren setzte die Wiederentdeckung durch Martin Scorsese ein (New York Film Festival 1979), was zur späten Anerkennung führte. Heute gilt der Film als visionäres Meisterwerk, das beispielsweise Quentin Tarantino und David Fincher beeinflusste. Besonders in Marks dunklem Raum inszeniert Powell intensive Grün- und Rottöne mit einer Düsternis, die weit über seine früheren Werke hinausgeht. Dieser gezielt eingesetzte, unheimliche Farbeinsatz gilt als stilistischer Vorläufer der Bildsprache von Fincher, etwa in Se7en oder Zodiac. [The Cinema Archives]

Innovationslage
Peeping Tom entblösste Voyeurismus und Medientechnologie im Horrorfilm. Gemeinsam mit Psycho bildet er die doppelte Wurzel des modernen psychologischen Horrors.

Härtegrad
Verstörendes Thema, aber grafisch zurückhaltend


The Innocents (1961)

Filmszene: The Innocents
Regie: Jack Clayton, 1961

Inhalt
Jack Claytons Adaption von Henry James’ «The Turn of the Screw» lebt von Andeutungen und Schweigen. Gouvernante Miss Giddens sieht Geister, doch ist es Wahn oder Realität?

Finanzen
Budget: ca. 1,2 Mio. $
Box Office: mässiger Erfolg von 1.2 Mio. $

Auszeichnungen
The Innocents gewann 4 Auszeichungen.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Von Guillermo del Toro als wichtiger Einfluss auf sein Werk bezeichnet, insbesondere wegen der dichten Bildsprache und der meisterhaften Kameraführung. In Interviews lobte del Toro die berühmte Szene, in der Deborah Kerr erstmals das Haus betritt, als eine seiner Lieblingssequenzen aller Zeiten. Ein ungeschnittenes, mehrminütiges Spiel mit Perspektiven, das den Zuschauer direkt in die Wahrnehmung der Protagonistin hineinzieht. Darüber hinaus beeinflusste The Innocents zahlreiche spätere Geistergeschichten, darunter The Others (2001) und moderne Spukhaus-Adaptionen wie The Haunting of Bly Manor (2020).

Innovationslage
Durch seine Ambivalenz, ob die Geister real oder nur Projektionen einer labilen Psyche sind, etablierte er eine Erzählform, die psychologischen Horror und klassischen Gothic-Horror miteinander verschmelzen liess. Die präzise Bildgestaltung von Kameramann Freddie Francis setzte zudem neue Standards für Atmosphäre im Genre.

Härtegrad
Klassischer Spukfilm, psychologisch beunruhigend, keine Gewalt


II. Subjektive Räume und der psychische Zerfall

Mit diesen Filmen verlagert sich das Zentrum des Horrors in den inneren Raum. Wohnungen, Häuser und Städte werden zu Projektionsflächen psychischer Instabilität. Die Kamera folgt zunehmend Figuren, deren Realität brüchig wird. Subjektivität und Wahrnehmung dominieren das filmische Erzählen. Nicht mehr das, was ist, sondern das, was empfunden oder befürchtet wird, steht im Vordergrund.


The Haunting (1963)

Filmszene: The Haunting
Regie: Robert Wise, 1963

Inhalt
Robert Wises Verfilmung von Shirley Jacksons Roman erschafft das Spukhaus als Projektionsfläche psychischer Instabilität. Eleanor erlebt das Haus als lebendig, doch bleibt alles uneindeutig.

Finanzen
Budget: ca. 1 Mio. $
Box Office: rund 1 Mio. $.

Auszeichnungen
The Haunting gewann 2 Preise.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung:
The Haunting beeinflusste Mike Flanagans Netflix-Serie The Haunting of Hill House (2018), die die psychologische Tiefe und die subtile Atmosphäre des Originals aufgriff. Die Serie nimmt Bezug auf das spukhafte Erbe des Films und der Romanvorlage, während sie gleichzeitig neue narrative Elemente hinzufügt. Auch die Inszenierung und die Vorstellung vom «lebendigen» Haus, das die Psyche seiner Bewohner spiegelt, wurden in vielen späteren Horrorproduktionen übernommen.

Innovationslage
Ein Musterbeispiel, wie man durch Atmosphäre statt durch aufwendige Effekte Horror erzeugt. Der Film nutzt kaum visuelle Geisterdarstellungen oder Schockeffekte, sondern setzt auf subtile, unheimliche Geräusche und das Spiel mit der Wahrnehmung der Charaktere. Diese Technik beeinflusste nicht nur spätere Filme, sondern stellte auch einen Meilenstein im Genre des psychologischen Horrors dar. Die minimalistische Herangehensweise an das Spukhaus-Genre zeigt, dass wahre Angst nicht nur durch das Sichtbare, sondern auch durch das Unsichtbare und Unausgesprochene erzeugt werden kann.

Härtegrad
Rein psychologischer Grusel ohne Gewalt


Repulsion (1965)

Filmszene: Repulsion
Regie: Roman Polanski, 1965

Inhalt
Roman Polanskis Film zeigt den Zerfall einer jungen Frau, deren Wohnung zum Spiegel ihrer Psyche wird. Hände greifen aus Wänden, Risse erscheinen wie Symptome innerer Brüche.

Finanzen:
Budget: ca. 182’000 $
Box Office: rund 3 Mio. $

Auszeichnungen
Repulsion gewann 2 Preise.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Roman Polanskis zweite Langfilmproduktion und sein erstes englischsprachiges Werk startete im Wettbewerb von Cannes. Kritiker bejubelten die eindringliche Darstellung psychischer Zerrüttung. Repulsion verschaffte Polanski den internationalen Durchbruch. Das enge Apartment, die schleichende Gewalt, der Blick durch den zerfallenden Geist, all das beeinflusste später etwa David Lynch’s Eraserhead und begründete Polanskis Ruf als Meister des psychischen Horrors [CC Popculture, Rotten Tomatoes].

Innovationslage
Repulsion kehrte den Blick um: Nicht der Beobachter zerlegt sein Opfer, sondern die Beobachtete sich selbst.

Härtegrad
Psychischer Verfall, einige grafische und beunruhigende Szenen


Don’t Look Now (1973)

Filmszene: Don’t Look Now
Regie: Nicolas Roeg, 1973

Inhalt
Nicolas Roegs elliptisch erzählter Film über Trauer und Vorahnung folgt einem Paar, das sich in Venedig und seinen Erinnerungen verliert.

Finanzen
Budget: ca. 1,3 Mio. $
Box Office: ca. 4,2 Mio. $

Auszeichnungen
Don’t Look Now gewann 2 Preise.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Kritiker wie Roger Ebert stufen den Film inzwischen als Meisterwerk ein; in den Sight & Sound‑Umfragen rangiert er unter den besten Filmen aller Zeiten, zuletzt auf Platz 114 (2022). Die Bildsprache inspirierte Regisseure wie Danny Boyle, Ryan Murphy (American Horror Story), und Ari Aster (Hereditary) [Wikipedia, The Guardian].

Innovationslage
Roeg brachte psychologischen Horror in die visuelle Moderne.

Härtegrad
Psychologische Belastung, wenige kurze Schockszenen, aber intensiv


The Shining (1980)

Filmszene: The Shining
Regie: Stanley Kubrick, 1980

Inhalt
Stanley Kubricks Version von Stephen Kings Roman setzt auf Isolation, Familienzerfall und architektonische Unheimlichkeit. Jack Torrance verliert im Overlook Hotel nicht nur den Verstand, sondern auch seine Identität.

Finanzen:
Budget: 19 Mio. $
Box Office: ca. 48 Mio. $ in den USA.

Auszeichnungen
The Shining gewann 6 Preise.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung:
Obwohl The Shining heute als einer der einflussreichsten psychologischen Horrorfilme gilt, war die Reaktion bei der Uraufführung 1980 gemischt. Einige Kritiker hielten Kubricks Stil für «kühl» oder «überstilisiert», und Stephen King selbst lehnte die Adaption ab. Auffällig war die Nominierung im Jahr 1981 bei den ersten «Goldenen Himbeeren»: Stanley Kubrick wurde als schlechtester Regisseur nominiert, Shelley Duvall als schlechteste Schauspielerin. Beide für The Shining. 2022 zog die Razzie-Jury die Nominierung gegen Duvall zurück, mit der Begründung, Kubricks rigider Führungsstil am Set habe ihre mentale Belastung beeinträchtigt. Kubricks eigene Nominierung bleibt dagegen bestehen.
Das Overlook-Hotel, «Here’s Johnny!» und die Teppichmuster sind bis heute fester Bestandteil der Popkultur.

Innovationslage
Kubrick verschmolz klassischen Horror mit psychologischer Studie und architektonischem Grauen.

Härtegrad
Deutliche Gewalt, verstörende Atmosphäre, aber nicht übermässig grafisch


III. Moderne Spiegelungen

Der psychologische Horror erlebt im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert eine neue Blüte. Moderne Filme greifen nicht nur auf frühere Motive zurück, sondern erweitern sie um zeitgenössische Themen wie Trauma, Alleinerziehende, religiöse Obsession oder digitale Desorientierung. Dabei bleibt das zentrale Merkmal erhalten: Das Grauen entsteht im Innern, oft ganz ohne äusseren Gegner.

Jacob’s Ladder (1990)

Filmszene: Jacob’s Ladder
Regie: Adrian Lyne, 1990

Inhalt
Ein Vietnam-Veteran wird von Visionen und Flashbacks heimgesucht. Realität und Wahn verschwimmen.

Finanzen
Budget: 25 Mio. $
Box Office: ca. 26 Mio. $

Auszeichnungen
Jacob’s Ladder gewann 3 Preise.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Trotz dieser mässigen Starts entwickelte sich Jacob’s Ladder zum Kultklassiker. Sein Einfluss reicht weit: Die Silent Hill-Videospielreihe, Filme wie The Machinist oder serielles Psychowesen wie in American Horror Story weisen deutliche Spuren, nicht zuletzt in fragmentierter Bildlogik und Bildmetaphern, auf den Film auf [Fandom, Little White Lies].

Innovationslage
Eine filmische Meditation über Trauma und Fragmentierung des Bewusstseins.

Härtegrad
Verstörende Halluzinationen, psychisch belastend, einige harte Bilder


Audition (1999)

Filmszene: Audition
Regie: Takashi Miike, 1999

Inhalt
Ein verwitweter Produzent veranstaltet ein Fake-Casting, um eine neue Partnerin zu finden. Die Auserwählte entpuppt sich als grausamer Racheengel.

Finanzen
USA-Box Office: ca. 131 000 $

Auszeichnungen
Audition gewann 5 Preise.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Von Quentin Tarantino und Eli Roth als Schlüsselwerk des modernen Horrors bezeichnet. Tarantino nannte den Film eine «wahre Meisterleistung, falls es je eine gab» (Far Out Magazine). Eli Roth wiederum gab an, Audition habe ihn stark inspiriert und sei einer der Hauptgründe gewesen, warum er Hostel drehte (Dread Central).

Innovationslage
Miike lässt Horror implodieren statt explodieren und schafft eine Grenzerfahrung zwischen Drama und Extremkino. Dabei unterläuft er die Erwartungen des Publikums, indem er eine scheinbar harmlose Romanze in eine zutiefst verstörende Reflexion über Trauma, Macht und geschlechtsspezifische Gewalt transformiert.

Härtegrad
Stark eskalierende, sehr grafische Folterszenen


The Babadook (2014)

Filmszene: The Babadook
Regie: Jennifer Kent, 2014

Inhalt
Jennifer Kents Film zeigt eine Mutter, deren unterdrückte Trauer sich in einer Schattengestalt manifestiert.

Finanzen
Budget: ca. 2 Mio. $
Box Office: ca. 10 Mio. $

Auszeichnungen
The Babadook gewann sagenhafte 56 Preise!
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Kulturell entwickelte sich der Film schnell zum Phänomen. Während Sundance 2014 für begeisterte Kritikerreaktionen sorgte, wurde der Babadook online zu einem queeren Meme und inoffiziellen Pride-Symbol, nachdem Netflix den Film irrtümlich in der LGBT-Kategorie gelistet hatte, was Fans und Journalisten später aktiv aufgriffen.

Innovationslage
The Babadook zählt zu den Ikonen des modernen psychologischen Horrors. Minimalistisch, verstörend und mit einem narrativen Nachhall, der weit über klassische Genregrenzen hinauswirkt.

Härtegrad
Psychologische Belastung, wenige Schockmomente


Ich seh, Ich seh (2014)

Filmszene: Ich seh, Ich seh
Regie: Severin Fiala / Veronika Franz, 2014

Inhalt
Zwei Zwillingsbrüder zweifeln daran, dass die Frau nach einer Schönheitsoperation ihre Mutter ist. Der Film entfaltet sich als psychologisches Kammerspiel, in dem kindliche Wahrnehmung und bedrohliche Ambivalenz ineinanderfliessen.

Finanzen
Budget: ca. 1 Mio. €
Box Office: begrenzt, aber internationaler Festivalerfolg. Der Film erhielt vorwiegend durch Festivalaufführungen in Europa und Nordamerika Aufmerksamkeit.

Auszeichnungen
Hauptpreis beim Sitges Film Festival sowie mehrere weitere Preise auf internationalen Genre-Festivals. Gesamt: 23 Preise.
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Gilt als eine der verstörendsten europäischen Genreproduktionen der letzten Jahre. Das Werk wurde oft mit Michael Hanekes Funny Games verglichen und in Essays als Beispiel für die neue österreichische Horrorsensibilität zitiert.

Innovationslage
Kindliche Wahrnehmung als Medium des Horrors. Präzise und unaufdringlich inszeniert. Die bewusst minimalistische Erzählweise und die unklaren moralischen Fronten geben dem Film eine nachhaltig verstörende Wirkung.
Mehr über das österreichische Genre-Kino findest du in meinem Artikel Sachertorte mit Rasierklingen.

Härtegrad
Verstörend, explizite Gewalt gegen Kinder und Folterelemente


Hereditary (2018)

Filmszene: Hereditary
Regie: Ari Aster, 2018

Inhalt:
Ari Asters Debüt erzählt von Trauer, Erbe und innerem Zerfall. Was als Familiendrama beginnt, entwickelt sich zum alptraumhaften Horror über Schuld und Macht.

Finanzen:
Budget: ca. 10 Mio. $
Box Office: ca. 82–88 $ weltweit

Auszeichnungen:
Gewann 52 internationale Preise, darunter zahlreiche Kritiker- und Genreawards.

Popkulturelle Wirkung:
Als einer der verstörendsten Filme seiner Zeit gefeiert. Colin Stetsons Soundtrack erhielt besondere Anerkennung und prägte die bedrohliche Atmosphäre entscheidend. Hereditary wurde schnell zu einem Fixpunkt in Diskussionen um den sogenannten Elevated Horror und löste in sozialen Medien wie Reddit intensive Fan-Theorien über Symbolik und versteckte Hinweise im Film aus. Ari Aster selbst wurde in Kritikerartikeln oft als geistiger Nachfolger von Filmemachern wie Roman Polanski und Nicolas Roeg bezeichnet.

Innovationslage:
Aster verknüpfte Familiendrama mit metaphysischem Horror und schuf einen neuen Massstab für Arthouse-Horror. Dabei brach er mit klassischen Erzählstrukturen, indem er Schockmomente nicht als Höhepunkte, sondern als Verstärker für die anhaltende emotionale Zerrüttung einsetzte. Die komplexe Bildsprache und die Verwendung von Miniaturhäusern als visuelles Leitmotiv machten den Film zu einem stilprägenden Werk im modernen Horrorkino.

Härtegrad
Sehr belastende Atmosphäre, einige explizite Schockszenen


Saint Maud (2019)

Filmszene: Saint Maud
Regie: Rose Glass, 2019

Inhalt
Eine junge Pflegerin verliert sich in religiösem Wahn. Ihr Glaube wird zur Obsession, ihre Einsamkeit zur Hölle.

Finanzen
Budget: 2,5 Mio. $
Box Office: 1,6 Mio. $ Pandemiebedingt gering, aber Kritikerliebling.

Auszeichnungen
11 Preise
Quelle: IMDb Awards

Popkulturelle Wirkung
Maud wurde in sozialen Medien zum Symbol für religiösen Fanatismus und psychischen Verfall. Der Film entwickelte schnell eine Fangemeinde, die insbesondere die Mischung aus Body-Horror und spiritueller Allegorie in Memes, Fan-Art und Essays aufgriff. Er wurde von Kritiker:innen als moderner Vertreter des sogenannten Post-Horror diskutiert, in einer Linie mit Filmen wie The Babadook und Hereditary.

Innovationslage
Eine leise, spirituell aufgeladene Weiterführung psychologischer Horrormotive. Regisseurin Rose Glass verschmilzt Elemente des religiösen Psychodramas mit einer intimen Charakterstudie und verleiht so dem klassischen Besessenheitsnarrativ eine subtile, zutiefst persönliche Dimension.

Härtegrad
Psychisch belastend, einzelne explizite Szenen


IV. Schlusswort: Die Monster in uns

Der psychologische Horror ist das stille Kind in der hintersten Reihe des Genres. Er ist nicht laut, aber genau deshalb bleibt er. Während andere Horrorfilme mit Blut, Masken oder Schockmomenten arbeiten, kratzt der psychologische Horror an der Oberfläche des Ichs.

Seine Monster tragen keine Masken, sie tragen Schuld, Trauer, oder das Schweigen zwischen zwei Blicken. In Filmen wie Repulsion, The Innocents oder Hereditary ist das Haus nicht spukhaft, weil es von Geistern bewohnt wird, sondern weil es Erinnerungen beherbergt, die nicht sterben wollen.

Diese Linie führt durch Jahrzehnte: von Les Diaboliques über Peeping Tom bis zu Saint Maud. Was alle verbindet, ist der Zweifel an der Wahrnehmung, an der Identität, an der eigenen Zurechnungsfähigkeit.

Psychologischer Horror war selten Blockbusterkino. Viele der hier genannten Filme wurden bei ihrer Veröffentlichung verkannt, unterschätzt oder gar abgelehnt und fanden ihre Würdigung erst später. Peeping Tom zerstörte Powells Karriere, The Shining wurde belächelt, Audition als zu extrem abgetan. Erst mit der Zeit, durch Filmkritik, Festivals und das Internet, wuchs ihr Einfluss.

Heute wirken diese Filme nach. The Babadook wurde zum queeren Meme, Hereditary (als geistiger Nachfolger von The Haunting oder Don’t Look Now) zum modernen Klassiker. Repulsion, Audition und Jacob’s Ladder finden sich regelmässig in Listen über die verstörendsten Filme aller Zeiten. Saint Maud wird als spirituelle Grenzerfahrung rezipiert, Peeping Tom und The Shining als visionär rehabilitiert. Auch weniger bekannte Werke wie Ich seh, Ich seh oder The Innocents leben im Echo heutiger Filme weiter. Ein Genre, welches sich nicht aufdrängt, aber lange im Gedächtnis bleibt.

Die Frage ist nicht, was uns das Böse antut, sondern: Was, wenn wir es längst in uns tragen?


Anhang: Honourable Mentions

Nicht alle Filme, die den psychologischen Horror berühren, konnten im Haupttext ausführlich behandelt werden. Einige stehen an den Rändern des Genres, andere ergänzen es durch neue Perspektiven oder Grenzüberschreitungen. Diese «Honourable Mentions» seien hier stellvertretend genannt, als weitere Wegweiser in die Abgründe des Ichs:

Funny Games (1997, Michael Haneke)
Dekonstruktion von Gewalt und Zuschauererwartung.

Gone Girl (2014, David Fincher)
Medienkritik und Ehedrama als psychologisches Schachspiel.

The Sixth Sense (1999, M. Night Shyamalan)
Schuld und Kommunikation mit den Toten im Gewand eines Mystery-Dramas.

Ekel (1965, Roman Polanski)
Psychischer Zerfall einer Frau. Thematisch verwandt mit Repulsion.

Martyrs (2008, Pascal Laugier) und Haute Tension (2003, Alexandre Aja)
Vertreter der New French Extremity mit starker psychologischer Komponente.

The Blair Witch Project (1999)
Subjektive Wahrnehmung und Isolation in Found-Footage-Form.

Midsommar (2019, Ari Aster)
Kult-Horror über Trauer und Zugehörigkeit.

Hagazussa (2017, Lukas Feigelfeld)
Atmosphärische Studie über Wahnsinn, Aberglauben und Isolation.

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