Einleitung
Unter all den Wesen in Mythos und Popkultur hat mich der Werwolf am meisten fasziniert. Dieser Artikel beleuchtet den Werwolf Mythos und Filme, welche Mensch und Tier, Ordnung und Chaos, Zivilisation und rohe Wildheit vereinen. Gerade diese Spannung macht sie einzigartig. Umso grösser ist oft die Enttäuschung im Kino: Viele Werwolf-Filme verkommen zu Effektfeuerwerken oder plumpem Horror, statt die eigentliche Faszination einzufangen. Mit meiner neuen Kategorie Ikonen der Furcht will ich deshalb beim Werwolf beginnen und genauer hinsehen, was ihn so besonders macht.
Ursprung, Mythen und Religion

Die Vorstellung vom Menschen, der sich in einen Wolf verwandelt, ist sehr alt. Schon die Griechen erzählten vom König Lykaon, der in einen Wolf verwandelt wurde, weil er die Götter herausforderte. Hier zeigt sich bereits ein religiöses Muster: die Verwandlung als Strafe für menschliche Hybris. In Griechenland war der Wolf ein Symbol für das Wilde und Chaotische, für das, was ausserhalb der geordneten Welt lauerte.
Auch in anderen heidnischen Traditionen besass der Wolf eine ambivalente Rolle. Germanische und nordische Kulturen kannten die Ulfheðnar, Krieger, die sich in Trance oder durch Rituale die Stärke des Wolfs aneigneten. Hier stand er nicht für das Dämonische, sondern für Kraft, Wildheit und Kriegergeist. Solche Vorstellungen machten deutlich, dass das Tierische im Menschen nicht nur bedrohlich, sondern auch bewundernswert sein konnte.
Mit dem Aufstieg des Christentums änderte sich diese Sichtweise grundlegend. Schon in der Bibel wird der Wolf als Sinnbild des Bösen beschrieben, als reissender Feind in Schafskleidern. Wer sich mit ihm verband, galt als verdorben oder gar vom Teufel besessen. In der Praxis führte das dazu, dass vermeintliche Werwölfe wie Hexen verfolgt und hingerichtet wurden, oft nach den gleichen Ritualen der Inquisition. Im Europa der frühen Neuzeit kam es zu regelrechten Werwolfprozessen, in denen Aussenseiter, Landstreicher oder psychisch Kranke unter Folter Geständnisse ablegten, sie hätten sich in Wölfe verwandelt und Menschen oder Vieh zerrissen.
Neben dieser religiösen Deutung gab es auch medizinische Erklärungsversuche. Die sogenannte Lykanthropie bezeichnete eine psychische Störung, bei der Betroffene glaubten, Wölfe zu sein. Bereits der griechische Arzt Marcellus von Side (2. Jh. n. u. Z.) beschrieb Menschen, die sich für Wölfe hielten, nachts durch Friedhöfe streiften und menschliches Fleisch suchten. Später griffen auch Ärzte der Renaissance dieses Krankheitsbild auf. So unterschied Johannes Weyer im 16. Jh. zwischen echten Werwölfen der Legende und Kranken, die lediglich wahnhaft glaubten, sich zu verwandeln. Auch im 19. Jh. wurde das Phänomen dokumentiert, etwa von Psychiatern wie Jean-Étienne Esquirol, der es als „Monomanie“ einordnete.

Eine andere Wurzel lag in der Hypertrichose, einer seltenen Krankheit, die zu übermässiger Körperbehaarung führte. Betroffene wurden im Volksmund oft als «Wolfsmenschen» bezeichnet. Ein bekanntes Beispiel ist Pedro González, historisch bekannt unter Petrus Gonsalvus (1537–1618) von Teneriffa, der mit seiner ebenfalls stark behaarten Familie am französischen Hof lebte.
Auch mehrere seiner Kinder waren von der Krankheit betroffen, was das Interesse am sogenannten «Wolfsmenschen» noch verstärkte. Seine ungewöhnliche Erscheinung faszinierte Zeitgenossen so sehr, dass sie wahrscheinlich als Inspiration für «Die Schöne und das Biest» diente. Realität und Mythos flossen hier ineinander und verstärkten den Glauben an Wolfsmenschen zusätzlich.
Andere Religionen prägten das Bild weniger stark. Im Judentum finden sich volkstümliche Gestaltwandler, im Islam Dschinn, die Tierformen annehmen können. In Südamerika wiederum verband sich das katholische Erbe mit lokalen Vorstellungen zum Lobisomem, einer Art Werwolfgestalt, die bis heute in brasilianischen Volksmärchen lebendig ist.
Andere Religionen prägten das Bild weniger stark. Im Judentum finden sich volkstümliche Gestaltwandler, im Islam Dschinn, die Tierformen annehmen können, doch kein klarer Werwolf-Mythos. In Südamerika wiederum verband sich das katholische Erbe mit lokalen Vorstellungen zum Lobisomem, einer Art Werwolfgestalt, die bis heute in brasilianischen Volksmärchen lebendig ist.
So zeigt sich, dass die Ursprünge des Werwolfs ohne Religion kaum zu verstehen sind. Je nach Kultur schwankt er zwischen göttlicher Strafe, dämonischer Versuchung und ambivalenter Kraftquelle. Immer aber bleibt er eine Projektionsfläche für das, was den Menschen am meisten beunruhigt: die Grenze zwischen Ordnung und Wildheit.
Der Werwolf als Spiegel unserer Ängste
Die Figur des Werwolfs ist mehr als nur ein Monster. Sie verkörpert den Konflikt zwischen dem menschlichen Bedürfnis nach Ordnung und den ungezähmten Instinkten, die in uns allen schlummern. In der Verwandlung steckt die Angst vor dem Kontrollverlust, vor Gewalt und Blut, aber auch vor Sexualität und anderen Trieben, die in einer strengen Gesellschaft nicht offen gelebt werden durften.
Der Wolf war schon immer ein Symbol für das Wilde und Gefährliche. Wenn sich der Mensch in ihn verwandelt, bricht etwas auf, das in uns selbst verborgen liegt. Das macht den Werwolf zugleich furchteinflössend und faszinierend.
Vom Monster zum Antihelden
Bereits in The Wolf Man (1941) wurde der Werwolf als klassisches Horrorwesen geprägt. Dieser Film gilt bis heute als Urtyp, weil er das Bild des tragischen Mannes im Vollmond festschrieb.
Später brachte An American Werewolf in London (1981) eine neue Dimension hinein, indem er Horror und schwarzen Humor verband und mit einer der eindrucksvollsten Verwandlungsszenen Filmgeschichte schrieb.
Auch Ginger Snaps (2000) ist entscheidend. Der Film deutet die Verwandlung als Metapher für weibliche Pubertät und Sexualität und wurde rasch zum Kultklassiker.
In der Underworld-Reihe erscheinen die Lykaner als unterdrücktes Volk. Serien wie Teen Wolf oder True Blood zeigen Werwölfe als Figuren mit Loyalität und Identitätskonflikten. Selbst in Remakes wie The Wolfman (2010) bleibt der Werwolf ein tragischer Charakter.
Wenn der Werwolf missverstanden wird
Oft wurde der Werwolf in der Popkultur auch missinterpretiert. Filme wie Van Helsing (2004) oder Cursed (2005) setzten ihn als platte CGI-Kreatur ein. Red Riding Hood (2011) ertrinkt im romantischen Kitsch, während The Howling II (1985) den Werwolf zur Karikatur verkommen lässt. Besonders deutlich zeigt die Twilight-Reihe, wie wenig vom eigentlichen Mythos übrigbleibt.
Doch es gibt auch positive Gegenbeispiele. Dog Soldiers (2002) etwa verband den Werwolf mit dem Kriegsfilm und setzte auf praktische Effekte und rohe Intensität. Damit bewies der Film, dass das Genre auch im Low-Budget-Bereich neue Impulse setzen kann.
Wie man Werwölfe tötet
Die bekannte Vorstellung, dass man Werwölfe nur mit Silberkugeln töten kann, stammt nicht aus einer alten, einheitlichen Tradition. Zwar gibt es in einzelnen europäischen Volksüberlieferungen Hinweise auf Silberknöpfe oder geerbtes Silber, das gegen übernatürliche Wesen wirken sollte. Die konkrete Verbindung von Silber und Kugeln wurde jedoch erst viel später durch Literatur und vor allem durch Filme wie The Wolf Man (1941) populär. Silber galt als reines, magisches Material, das böse Mächte bannen konnte, aber die Idee der Silberkugel ist vorwiegend ein Kind der Moderne.
In älteren Legenden gab es eine ganze Reihe anderer Methoden, Werwölfe zu töten oder zu bannen. Manche Geschichten berichten, dass man den geheimen Wolfspelz zerstören müsse, um die Verwandlung zu verhindern. Andere überliefern, dass ein Schlag ins Herz oder ins Gehirn nötig sei, während wiederum Verbrennen, Köpfen oder Ertränken in Flüssen als wirksam galt. In einigen Regionen galt reines Eisen als wirksames Schutzmittel, in anderen giftige Pflanzen wie Eisenhut oder Wolfswurz. Auch religiöse Rituale, geweihte Gegenstände oder Gebete spielten eine Rolle, besonders in katholischen Gegenden.
Die bekannte Vorstellung, dass man Werwölfe nur mit Silberkugeln töten kann, stammt nicht aus einer alten, einheitlichen Tradition. Sie wurde vor allem durch Filme wie The Wolf Man (1941) populär.
Diese Vielfalt zeigt, dass es nie die eine Waffe gegen Werwölfe gab. Jede Region entwickelte ihre eigenen Erklärungen und Abwehrmechanismen. Erst die moderne Popkultur hat die Silberkugel als universelles Symbol festgeschrieben.
Werwölfe in Literatur und Dichtung
Nicht nur in Mythen und Filmen, auch in der Literatur hat der Werwolf Spuren hinterlassen. Schon im 18. und 19. Jahrhundert wurde er zum Stoff für Romane und Gedichte. Christian August Vulpius, ein Zeitgenosse Goethes, schrieb 1797 den Schauerroman Der Werwolf, in dem er die Figur als grausames Ungeheuer darstellte.
Anders gelagert ist der Fall bei Hermann Löns, der 1910 den Roman Der Wehrwolf veröffentlichte. Dieser behandelt jedoch keinen eigentlichen Werwolf-Mythos, sondern schildert die bäuerliche Selbstverteidigung im Dreissigjährigen Krieg. Der Titel spielt mit der Lautähnlichkeit zu Werwolf, doch geht es eher um Heimatverbundenheit, Blut und Boden. Gerade deshalb eignete sich der Roman später für die nationalsozialistische Propaganda, die ihn zur Pflichtlektüre machte. Die klassische Figur des Werwolfs, wie man sie aus Mythen und Sagen kennt, tritt hier nicht auf.
Später, in der Horrorliteratur des 20. Jahrhunderts, kehrte die eigentliche Figur des Werwolfs zurück. Stephen King griff das Motiv in Das Jahr des Werwolfs auf und prägte es für ein modernes Publikum.
Werwölfe im Vergleich zu Vampiren
Während Vampire meist als elegant, verführerisch und kalkulierend beschrieben werden, steht der Werwolf für ungezähmte Kraft, Instinkt und Kontrollverlust. Beide Figuren repräsentieren Schattenseiten des Menschen, doch während der Vampir das Überlegene, Aristokratische verkörpert, ist der Werwolf ein Symbol des rohen, unkontrollierbaren Triebs.
Besonders deutlich wird dieser Gegensatz in der Underworld-Reihe. Während die Vampire als kalte Herrscher erscheinen, treten die Lykaner als unterdrücktes Volk auf. Im Prequel Underworld: Rise of the Lycans (2009) wird ihre Tragik erstmals ins Zentrum gerückt, und die Werwölfe erhalten eine eigene mythologische Tiefe.
Der Werwolf in Videospielen
Auch in der Welt der Videospiele hat der Werwolf seinen Platz gefunden. In The Witcher-Reihe erscheint er als mächtiges Monster, das durch Flüche gebunden ist und sich nur unter bestimmten Bedingungen verwandelt. In Skyrim kann der Spieler selbst zum Werwolf werden und die rohe Gewalt der Gestalt am eigenen Körper erleben. Spiele wie Bloodborne nutzen das Motiv der Werbestie als groteskes Sinnbild einer Menschheit, die sich in Wahnsinn und Blutrausch verliert. Damit ist der Werwolf auch in digitalen Medien weiterhin ein Spiegel der Frage, wie weit der Mensch seiner eigenen Natur trauen darf.
Warum Werwölfe faszinieren
Werwölfe faszinieren uns, weil sie uns etwas über uns selbst erzählen. Sie sind keine fremden Dämonen, sondern unsere eigenen Schattenseiten. Sie zeigen, wie dünn die Schicht der Zivilisation ist und wie schnell der Mensch in rohe Gewalt zurückfallen kann.
Obwohl sie oft übermenschlich stark und widerstandsfähig dargestellt werden, sind Werwölfe im Gegensatz zu Vampiren nicht unsterblich. In der Folklore sterben sie wie gewöhnliche Menschen, auch wenn manche Legenden betonen, dass sie nur in ihrer Wolfsgestalt verwundet oder getötet werden können.
In moderner Fantasy besitzen sie manchmal eine schnelle Regeneration oder ein verlangsamtes Altern, doch ewiges Leben ist ihnen fremd. Einige moderne Werke biegen diese Regel allerdings zurecht. In der Underworld-Reihe sind die Lykaner nicht einfach verfluchte Menschen, sondern eine eigene Spezies, die wie die Vampire vom Unsterblichkeits-Virus abstammt. Dadurch altern sie praktisch nicht und können über Jahrhunderte existieren. Solche Abweichungen zeigen, wie flexibel der Mythos ist und wie stark die Popkultur eigene Gesetze für Werwölfe erschaffen hat.
Ausblick: Der Werwolf von morgen
Der Mythos des Werwolfs ist erstaunlich wandlungsfähig. Jede Generation hat ihn neu interpretiert, von der Strafe der Götter bis zur Metapher für Identitätskrisen. Es ist wahrscheinlich, dass zukünftige Darstellungen ihn noch stärker psychologisieren oder in neue Kontexte stellen, sei es in Streaming-Serien, die ihn als komplexen Antihelden zeigen, oder in modernen Horrorwellen, die wieder zur brutalen, archaischen Bestie zurückkehren. Sicher ist: Solange der Mensch mit seinen eigenen Trieben ringt, wird der Werwolf als Projektionsfläche weiterleben.
Quellenverzeichnis
- Marcellus Sideta On Lycanthropy. A translation of the first account of werewolves, Ancient Medicine
- Kynanthropy: canine madness in Byzantine late antiquity, Deutsche National Bibliothek
- Lycanthropy among the Ancients, sacred-texts.com
- Battling demons with medical authority: werewolves, PMC
- Christians and Jews in the Twelfth-Century Werewolf Renaissance, ResearchGate
- The Wolf in the Viking Era, ResearchGate (kein Peer Review zurzeit)
- Myths and Reality of Berserkers and Ulfhednar, Vikingr.org
- A German werewolf’s ‚confessions‘ horrified 1500s Europe, National Geographic
- The Witchcraft Werewolf Trials of Amersfoort och Utrecht, The Haunted Palace Blog
- Embodied identity in werewolf films of the 1980s, University of Amsterdam
- The Development of the Literary Werewolf, University of Hertfordshire
- La hipertricosis del guanche que inspiró a la Bestia, Cuaderno de Cultura Científica