Terrifier: Wie ein Clown den modernen Horror neu definiert

Ein Angriff auf Horror-Konventionen

Es gibt Horrorfilme, die erschrecken. Es gibt welche, die ekeln. Und dann gibt es Terrifier. Ein Angriff auf die Sehgewohnheiten, den Geschmack und den immer gleichen Einheitsbrei aus Horrorwood. Mit winzigem Budget und einer kompromisslosen Vision hat Damien Leone eine Reihe geschaffen, die vom Nischenprojekt zum viralen Phänomen wurde und inzwischen im Zentrum von Hype, Kontroversen und Rekordmeldungen steht.


Wer weiterliest, sollte wissen: Hier werden auch zentrale Szenen und Entwicklungen aus Teil 1–3 angesprochen und ein Ausblick auf den vierten Teil gegeben.


Art the Clown: Albtraumfigur und Mutprobe für das Publikum

Art the Clown ist kein weiterer maskierter Mörder, der stumpf seinem Schema folgt. Er ist ein sadistischer Performer des Grauens, der mit jeder Geste sagt: «Ich geniesse das.»
Für viele Zuschauer:innen ist die Reihe längst auch zu einer Mutprobe geworden, ein Test, wie viel Splatter und Grenzüberschreitung man aushält, bevor man selbst den Saal verlässt. Im Vergleich zu Figuren wie Freddy Krueger, der seine Opfer in Träumen verhöhnt, Jason Voorhees, der wortlos schlachtet, oder Michael Myers, der als Inbegriff des reinen Bösen gilt, bleibt Art undefiniert und unberechenbar. Pennywise lockt mit falscher Freundlichkeit, Art zerstört. Mit Terrifier 3 hat er sich endgültig im modernen Horror etabliert, bunter und brutaler als zuvor, ein Weihnachtsmann, der keine Geschenke bringt, sondern einen Sack voller Mordwerkzeuge.


Von der Nische zum Mainstream: Terrifier wird Kult

Terrifier ist mehr als Splatterkino. Es ist ein Marketingerfolg, ein Fanprojekt, das sich in den Mainstream gekrallt hat, und ein klares Statement: «Seht mich an! Ich bin gnadenlos, roh, grotesk und längst eine Ikone!», ein Schrei, der bis in die Wohnzimmer hallt.
Keine Hochglanzware, kein weichgespülter Blumhouse-Horror, der für breite Massen geglättet wird, sondern ungeschöntes, schmutziges Kino mit Biss. Leone beweist, dass handgemachter Extremhorror auch im Zeitalter von Streamingdiensten und PG-13-Freigaben (Schweiz: ab 12) ein Publikum findet. Damien Leone hat sich von der Independent-Nische bis in die vorderen Reihen des modernen Horrors vorgearbeitet, mit dem Charme einer rostigen Hacksäge und der Kaltblütigkeit eines lachenden Clowns.


Selbstgemachter Low-Budget-Charme und Splatterästhetik

In The 9th Circle und All Hallows’ Eve fungierte Art zunächst nur als Hintergrundfigur. Einer unter vielen Monstern. Damien Leone erinnert sich:

«I threw in everything, clowns, witches, demons, monsters, everything up against the wall hoping something would stick.»
Damien Leone zu Dread Central

Doch Art war es, der haften blieb. Leone bemerkte, dass dieser stumme, pantomimische Clown beim Publikum besonders verstörte Reaktionen auslöste, mehr noch als alle anderen Figuren. Genau deshalb entschied er sich, Art zur Hauptfigur seines ersten Spielfilms zu machen. Die Figur hatte diesen sofortigen visuellen Impact, den klassische Slasher-Figuren nicht besassen. [Slashfilm]

Er war visuell sofort einprägsam, seine wortlose, pantomimische Brutalität wirkte einzigartig im Slasher-Genre und machte ihn zur perfekten Projektionsfläche für Angst und Abscheu.
Für die Spielfilmversion von Terrifier wurde der Clown neu besetzt. Mike Giannelli, der Art in den Kurzfilmen verkörperte, trat zurück. Die Rolle übernahm David Howard Thornton, eine Wahl, die für den Charakter zum Wendepunkt wurde.
Thornton brachte eine schlaksige, fast harmlos wirkende Erscheinung mit, die im Kontrast zu Arts exzessiver Brutalität steht. Genau dieser Gegensatz macht ihn so verstörend und hebt ihn von maskierten Genregrössen wie Jason oder Michael Myers ab. Leone erkannte, was passieren könnte, wenn man diesen Clown von der Leine lässt.

Und so entstand Terrifier: keine Herkunft, keine Psychologisierung, kein verwässerndes Erklären. Nur Sadismus in Reinform. Dass das Ganze schauspielerisch bisweilen wirkt, als hätten ein paar Filmstudierende ein Blutbad inszeniert, was auch am geringen Budget lag, und genau das trägt ungewollt zum rauen Charme des Films bei.


Mit Terrifier 2 trat Sienna Shaw, gespielt von Lauren LaVera, auf die Bühne. Erstmals eine echte Gegenspielerin, eine moderne Final‑Girl‑Figur, die nicht nur überlebt, sondern Art aktiv herausfordert und dem Franchise neue Dynamik verleiht.
LaVera bringt einen umfassenden Hintergrund mit: Sie ist professionelle Schauspielerin, Stuntperformerin, Kampfsportlerin und Autorin.

«I was fortunate enough to be able to do the majority of my own stunts, there were only two stunts, which were both from the same sequence, that Damien wouldn’t let me do, because it was a little bit too dangerous and he felt if I were to get injured doing those stunts he would be kinda screwed.»
Lauren LaVera auf Manor208

Interessanterweise stieg Terrifier 2 durch Crowdfunding zu einem der viralen Horrorhits empor. Unterstützer:innen konnten sich dabei unter anderem als Statist:innen an der Traumszene beteiligen oder sogar symbolisch von Art ermordet werden.
Eine besonders extravagante Dankeschön-Belohnung für Großspender:innen


In Terrifier 3 übertraf Art der Clown erneut alle Erwartungen: Er wurde dämonischer, die Gewalt noch exzessiver und die Weihnachtskulisse grotesker als je zuvor.
Damien Leone investierte erstmals deutlich mehr in das Production Value: Aufwendige Sets, detaillierte Kulissen, mehr Darsteller:innen und aufwändig inszenierte Splatter-Szenen. Der Film wurde mit einem Budget von rund 2 Millionen USD produziert und damit war er das bislang teuerste Projekt der Reihe [The Guardian].

Das Ergebnis war bemerkenswert: Die weltweiten Einnahmen belaufen sich auf etwa 90 Millionen USD, davon rund 54 Millionen USD allein in Nordamerika. Terrifier 3 wurde damit zum finanziell erfolgreichsten unrated Horrorfilm aller Zeiten [Box Office Mojo].

Der Film startete in den USA mit etwa 18 Mio USD am ersten Wochenende, und erreichte dabei Platz 1, sogar vor „Joker: Folie à Deux“. Damit spielte der Film rund das Vierzigfache seines Budgets wieder ein.


Marketing als Horrorinszenierung

Das Marketing war ähnlich kompromisslos. Teil 1 setzte auf Guerillamethoden, Mundpropaganda in Foren und eine Hacksäge-Szene, die sich von selbst verbreitete. Teil 2 wurde über Indiegogo finanziert, begleitet von Tweets über kollabierende Zuschauer:innen und TikTok-Clips, die den Film zu einer Mutprobe machten.
Die Medien sprangen sofort auf diesen Zug auf und berichteten über Ohnmachtsanfälle und Erbrechen im Kino. Diese verbreiteten sich lawinenartig, oft mit denselben Formulierungen, von RTL.de über Business Insider bis hin zur Los Angeles Times und Moviepilot. Ob diese Berichte echt waren oder nicht, interessierte irgendwann niemanden mehr. Hauptsache, sie wurden geteilt. Für Leone war das kostenlose Werbung. Terrifier 2 bekam so eine Reichweite, für die andere Produktionen Millionen zahlen [The Independent].
Teil 3 zückte dann alle Register. 76 Liter Kunstblut für eine Szene, Interviews, die genau das genüsslich betonten, und eine groteske Weihnachtskulisse, die sofort ins Auge stach. Ergebnis: Rund 90 Millionen Dollar Einspielergebnis und der kommerziell erfolgreichste unrated Horrorfilm [Bloody Disgusting] bisher. Leone zeigt, dass geschicktes Marketing im digitalen Zeitalter genauso wichtig ist wie das Produkt selbst.


Terrifier in der Kritik: Gewalt und Misogynie-Debatte

Leone steht im Zentrum heftiger Kritik. Insbesondere Terrifier 2 gilt aufgrund von Langzeit-Folterszenen gegen weibliche Figuren vielen Kritiker:innen als Ausdruck misogynistischer Tendenzen.
Leone sieht das anders. Für ihn sei Gewalt geschlechterunabhängig und Teil seines Final-Girl-Konzepts. Sienna Shaw überlebt nicht nur, sondern stellt sich Art aktiv entgegen. In einem Interview bezeichnete er die Vorwürfe als «kind of hilarious», da sein Film eine starke Frauenfigur bewusst einsetzt. [Cinematic Doctrine, Decider, Vogue Horror, NME]

Andererseits werfen Medien und Fachautoren der Reihe einen zunehmend exploitativ wirkenden Charakter vor. In einem Vogue Horror-Beitrag wird etwa von „deeply and unavoidably misogynistic“ Gewalt gesprochen, die weniger narrative Funktion als visuelle Eskalation habe. Ein weiterer Artikel auf Medium nennt das Franchise „deeply misogynist“ und kritisiert, dass Leone mit pseudo-feministischen Verteidigungen die von Zuschauer:innen geäusserte Kritik ins Leere laufen lasse.

Zudem lässt sich der Phänomenbereich von Terrifier im grösseren Kontext des Slasher-Genres verorten: Studien zeigen, dass Frauen in Horrorfilmen im Schnitt länger terrorisiert werden und häufiger als Opfer im Fokus stehen. Während klassische Final-Girls oft als reine Überlebende auftauchen. Sienna in Terrifier 2 ist hingegen ein aktives Final-Girl, welche sich nicht vor einem Klingenkreuzen mit Art scheut. Ob das nun als feministische Entwicklung präsentiert werden kann, wie von Leone behauptet, muss wohl jede:r für sich entscheiden.


Blutiges Handwerk: Terrifiers Effekte

Leone inszeniert Gewalt nicht, er seziert sie. Mit Mitteln, die so roh sind, dass sie oft wie eine Abschlussarbeit eines besonders makabren Filmstudierenden wirken. Prothesen, Blutpumpen oder handbemalte Latexwunden. Alles wirkt billig, greifbar, ungeschönt und kompromisslos im besten Sinne.
Ob die Hacksäge-Szene in Teil 1, die berüchtigte Häutung in Teil 2 oder die blutgetränkte Dusche in Teil 3, Leone blendet nichts aus. Jede Pore, jede klaffende Wunde, jede Sekunde des Grauens bleibt im Bild. Man kann den Filmen vorwerfen, dass sie nichts weiter als Gewaltpornografie seien. Im Gegensatz zu Hostel oder dem Saw-Franchise ist hier jedoch alles völlig überdreht und teilweise so ins Absurde gezogen, dass den Zuschauenden zwar Ekel überkommt, man sich aber stets bewusst bleibt, dass man einen Extreme-Slasher sieht.

«The last series to fill so many buckets of blood on such a consistent basis was the so-called “torture porn” of Saw …»
The Guardian


Ausblick: Terrifier 4 und der Abschluss des Albtraums

Heute steht Terrifier nicht nur für brutale Slasherfilme, sondern für ein ganzes Kultphänomen. Eine Mutprobe und eine Zirkusnummer in Blutrot und Knochenweiss. Und der Zirkus zieht weiter. Mit Terrifier 4 kündigte Leone den finalen Akt an. Er versprach mehr Hintergrund zu Art und das bislang kompromissloseste Kapitel der Reihe. Wenn er dieses Versprechen hält, wird der Vorhang nicht einfach fallen, sondern in Fetzen heruntergerissen.

Damien Leone auf X

Persönliche Anekdote

Ich hatte meine Freundin vorgewarnt, dass Terrifier nichts für sie sei, weil zu brutal. Sie bestand trotzdem darauf und überraschte mich. Sie war nicht schockiert und verlangte direkt nach dem zweiten Teil.
Heute haben wir Pullis und T-Shirts im Partnerlook, natürlich mit Arts Gesicht darauf, und teilen auch die Vorliebe für härtere Filme.
Nur so weit geht ihre Liebe dann doch nicht: In „Art the Clown“-Bettwäsche darf ich bis heute nicht schlafen. 😉


Fazit: Terrifier als Spiegel des modernen Horrors

Ob man die Filme nun liebt oder hasst, Terrifier zeigt, dass Horror noch immer schocken, provozieren und verbinden kann. Ich verstehe die Kritik am Franchise, besonders die Vorwürfe der Misogynie. Ich verstehe auch, dass die Filme für manche nicht funktionieren, weil das laienhafte Schauspiel streckenweise anstrengend ist und die extreme Gewalt nicht für alle gedacht ist. Terrifier 2 leidet zudem unter einer unnötig langen Spielzeit, weil Leone partout nichts kürzen wollte. Dabei gäbe es viele Szenen, die dem Film nichts hinzufügen. Ich wünschte mir, dass Damien Leone in Zukunft nicht alles selbst macht und sich für Drehbuch und Casting professionelle Unterstützung holt.

Trotz allem bin ich froh, dass es dieses Franchise gibt. Es bricht aus der Komfortzone des US-amerikanischen 08/15-Slashers aus und versucht etwas Neues, ohne sich vor Studios verbiegen zu müssen. Wenn Leone Wort hält, wird Terrifier 4 ein Abschluss, der das Publikum nicht nur aus den Sitzen holt, sondern auch eine würdige Krönung für eine neue Horrorikone darstellt.
Darauf mussten wir lange warten, denn ich würde behaupten, dass Ghostface aus Scream (1996) der letzte wirklich ikonische Slasher-Charakter war.

Und wer weiss, vielleicht kann ich dann doch noch verhandeln, unter Art the Clown Bettwäsche zu schlafen.

Schreibe einen Kommentar